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Am Anfang stehen meist unmittelbare Erlebnisse und Begegnungen. Mich interessieren zunehmend Dinge, mit denen ich täglich zu tun habe, die ich kenne. Gerade Alltägliches übt einen eigentümlichen ästhetischen Reiz auf mich aus, löst aber oft Befremdlichkeit beim Betrachter meiner Bilder aus, weil der Blickwinkel ungewohnt ist.

Wesentliche Themenbereiche meiner gestalterischen Arbeit sind Landschaft und Stilleben, aber nicht als Schilderungen einer heilen Welt. Ich versuche vielmehr, realistische – und damit kritische Aussagen zur heutigen Wirklichkeit zu machen. Fotos, Skizzen und Zeichnungen vor Ort filtern bereits das Wichtige vom Zufälligen. Größere Arbeiten entstehen nicht vor der Natur, sondern im Atelier.

Bei aller Exaktheit in der Wiedergabe der sichtbaren Gegebenheiten sind fast alle Bilder Montagen. Sie haben zwar einen szenischen oder landschaftlichen Zusammenhang, sind aber konstruiert, verändern die Realität nach inhaltlichen und gestalterisch-ästhetischen Aspekten.

Vgl. dazu: Claus Vahle 
In: Katalog „Künstlerbund Steinburg“ , 1985, S.56.


Aber Vahle schafft keine Protestkunst, die im groben Zugriff jede Sensibilität verliert, sondern er distanziert das Thema und schafft so eine Versachlichung. Wenn auch nicht seine Landschaft, so ist doch seine Bildersprache intakt. …

Die realistisch-sachliche Art seiner Kunst ist viel zu feinsinnig, um nur emotionaler Erregung über Umweltprobleme zu dienen. Deswegen ist die Wirkung seiner Kunst viel eindringlicher als jedes noch so begründete Geschrei.

Vgl. dazu: Uwe Lempelius
In: Katalog „Künstlerbund Steinburg“ , 1985, S.56.


Kunsthistorische „Zitate“ in Claus Vahles Werk

Claus Vahle hat die Auseinandersetzung mit Geschichte, Kunst und Kultur, historischen Bauwerken, bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten und den diversen Stilrichtungen seit jeher als große persönliche Bereicherung empfunden. Seine profunden kunsthistorischen Kenntnisse verdankt er nicht zuletzt seinem unersättlichen Wissensdurst, der – verbunden mit einer großen Entdeckerfreude – insbesondere auf seinen zahlreichen Reisen in Erscheinung tritt. …

Von nun an gehörte es zu Claus Vahles Gepflogenheiten – im Grunde genommen bis heute – sich auf seinen Ausstellungsbesuchen und Reisen malerisch mit den von ihm geschätzten Künstlerpersönlichkeiten und favorisierten Kunstwerken auseinanderzusetzen. Als visueller Mensch taucht er auf diese Weise besonders intensiv in die schöpferische Tätigkeit der einzelnen Künstler ein und erweist ihnen überdies seine Hommage, indem er sich in seiner eigenen Malerei künstlerisch auf ihre Werke bezieht. Jene erhalten mal subtil – mal direkt, mal ironisch – mal verfremdet eine Art Ehrenplatz in seinem eigenen Schaffen. Auch die Orte, in denen die Künstler lebten und malten, deren Malutensilien wie Pinsel, Staffelei und Palette sowie deren Hauptmotive und künstlerische Markenzeichen fanden Eingang in Claus Vahles Werk. So entstand in nunmehr etwa 50 Schaffensjahren eine lockere Folge von vielfältigen und höchst anregenden „Kunstzitaten“. …

Bereits seit seiner Schulzeit beschäftigte sich Claus Vahle, der sich selbst als notorischen Bastler bezeichnet, mit Laubsägearbeiten, die er ab 1968 während seines Studiums an der Hochschule für bildende Künste bemalte und mit Fundstücken aus der Alltagswelt zu eigenwilligen Holzobjekten kombinierte. Der Gedanke, aus Abfallmaterialien etwas Neues zu kreieren, Verbindungen zwischen Dingen herzustellen, die ursprünglich nicht zusammengehörten, hat Vahle zuerst bei Kurt Schwitters fasziniert. …

Vgl. dazu: Dr. Dörte Beier „Kunsthistorische „Zitate“ in Claus Vahles Werk“
In: Katalog „Claus Vahle Retrospektive“, (Ars Borealis Nr. 24 Herausgeber Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel), 2010, S. 13 – 15.
 

Die Befremdlichkeit des Alltäglichen

Mitte der siebziger Jahre siedelte Claus Vahle mit seiner Familie nach Schleswig-Holstein um. Hier erwies sich das stille Landleben schnell als Illusion, denn bereits die Ankunft auf der Elbfähre war von Flugblättern gegen den Bau des Kernkraftwerkes Brokdorf begleitet.

Idyll und Industrie liegen in Dithmarschen nahe beieinander. Und folgerichtig entdeckt Vahle hier mit dem Auge des kritischen Realisten seltsame Begebenheiten. … Da stehen zum Beispiel schwarzweiße Kühe vor einem Kernkraftwerk oder vor einem Bunker …, am Nordseestrand liegt eine Vogelleiche zwischen Strandgut, trockenes Wattenmeer wirkt wie gerissener Beton. …

Claus Vahles Bilder erscheinen dem Betrachter unwirklich und doch vertraut. Er erkennt das Dargestellte sofort als eigene Wirklichkeit und ist doch seltsam befremdet, denn ein merkwürdiger Zusammenhang des scheinbar Unzusammengehörigen stößt ihn zurück. Dieser Umstand ist in hohem Grade irritierend. Vahle greift Versatzstücke aus der Wirklichkeit heraus und montiert sie im Bild zu einem neuen Ganzen. Das Bild steht also symbolisch für Ganzheitlichkeit. Nur, dieses eine Ganze gibt es eigentlich gar nicht, denn seine Teile scheinen nicht aus einer einzigen Realität, sondern aus verschieden Welten herausgenommen. …

Vahles Sujets sind alltäglich. Deren Zusammenstellung im Bild und kompositorische Umsetzung verfremdet diese Alltäglichkeit zum Sinnbild auf die Ausbeutung der Natur. Indem die Kuh fremd wirkt vor der Industrie, erscheint auch die Industrie fremd im ländlichen Raum. Beider Fremdheit wirkt verbindend. Dem Betrachter wird deutlich, daß Kühe als `lebende Milchmaschinen` Teil der Industrialisierung sind. Vor solchen Bildern fühlt auch er sich als Teil dieser Maschinenwelt. …

Jeder Kritiker ist in seinem Inneren ein Romantiker. Frei nach einem Satz über Rainer-Werner Faßbinder, daß Zynismus eigentlich verletzte Zärtlichkeit sei, kann man die Umweltkritik in Claus Vahles Bildern als verletzte Sehnsucht nach einer heilen Welt sehen. Damit erscheinen sie als romantische Werke per excellence.

Vgl. dazu: Dr. Marina von Assel „Die Befremdlichkeit des Alltäglichen“
 In: Katalog „Claus Vahle“, Kataloge der Museen in Schleswig-Holstein 12, 1993, S. 24 – 27.
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